RÜCKBLICK

Auferstanden aus Ruinen

Cécile Wajsbrots Bildbetrachtung

Ein Dichter weiht in Berlin eine neue Straße ein, die auf den Namen Caspar David Friedrichs getauft werden soll. Um den Maler der Romantik rankt sich auch die Eröffnungsrede des ostdeutschen Lyrikers, der seit dem Mauerfall vor rund zehn Jahren keine Zeile mehr zu Papier brachte. Jetzt bricht er in einem langen Wortschwall vor den zukünftigen Bewohnern der Caspar-David-Friedrich-Straße sein Schweigen und verrät sein Lebensgeheimnis.
Mann und Frau den Mond betrachtend ist der erste ins Deutsche übertragene Roman der französischen Schriftstellerin Cécile Wajsbrot. Neun Bildbeschreibungen bilden den Kern des Romans und der Rede ihres Protagonisten. Die melancholischen Gefühlswelten, die Friedrich malte, die einsamen Landschaften und kargen Klippen entwickeln sich zur angemessen tragischen Kulisse, um vor ihr das Leben des Ich-Erzählers aufzufächern.
Um uns sind überall Ruinen, wenn man nur bereit ist, sie zu sehen, so beginnt der Dichter seine Ausführungen. Im zerstörten Berlin geboren beschreibt er jene Zeit, als an der Oberfläche unseres Kontinents nur noch Ruinen aus Stein und Ruinen aus Fleisch und Blut übrig waren - analog zu Friedrichs "Eichbaum im Schnee", von dem nur verdorrte Äste an einstiges Leben erinnern.
Die Gedankenwelt des Mannes, der auf den Spuren von zweihundert Jahre altem Licht die Wirklichkeit erst idealisiert und dann in ihren Trümmern verzweifelt, wird bei Wajsbrot gegenwärtig. Der Entwurf seiner Persönlichkeit gelingt ihr ebenso sensibel wie die Bildbeschreibungen, mit denen sie Gedanken und Stimmungen unterstützt. Schon durch diese Beschreibungen, fernab von kunstgeschichtlichen Deutungen, ist der Roman etwas Besonderes.
Julika Pohle
Cécile Wajsbrot: Mann und Frau den Mond betrachtend Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Liebeskind, München 2003. 144 S., 16,- ISBN: 393589015X