VERGANGENHEIT
Der verlorene Vater
Bernhard Schlink verhandelt in »Die Heimkehr« Heldensage und Herkunftstrauma
Vor 10 Jahren wurde Bernhard Schlink über Nacht mit Der Vorleser zum internationalen Besteller-Autor. Vorher hatte der Juraprofessor seltsam bedächtige Krimis geschrieben, in denen die "Deutsche Vergangenheit" immer mitspielte - nachher plauderte er in Amerika auf Ophras TV-Couch über den Nazi in uns allen. In Deutschland rissen Feuilleton und Normalleser Schlink fortan auch Erzählungen und Essays aus den Händen. Jetzt ist Die Heimkehr wieder ein großer Roman. Ein viel zu großer, falls es überhaupt ein Roman ist.
Die Heimkehr beginnt mit Kindheitserinnerung, die man fast für autobiographisch halten könnte. Der Ich-Erzähler Peter Debauer ähnelt in Alter, Herkunft, Studium, Beruf und schnörkelloser Sprache doch sehr seinem Autor. Debauer wächst vaterlos auf, verbringt die Sommer bei den Großeltern, die "Romanhefte" lektorieren, darf die erledigten Fälle als Malblöcke nutzen und stolpert so über eine Geschichte von der Heimkehr eines deutschen Landsers aus Sibirien. Leider fehlt das Ende. Das läßt ihn nicht los.
Erst Jahre später bemerkt er, dass der Roman in seiner Heimatstadt spielt. Dass der Groschenroman nach dem Muster der "Odyssee" Homers gebaut wurde. Dass tatsächlich sein eigener verschollener Vater der Autor ist. Und dass er selbst, der Sohn, nun wieder in odysseusartigen Wendungen, eine Art Heimkehr anhand des nur bruchstückhaft überlieferten Heftes versucht.
Leider hält ihn eine große, schöne Liebesgeschichte lange von weiteren Nachforschungen ab, leider läppern noch ein paar kleinere hinterher, und leider muss Peter Debauer nach beinahe lebendigen Episoden immer wieder zurück in Schlinks Konstruktion.
Denn der Vater muss gefunden werden. Der ist Professor in Amerika geworden und nach dem Vorbild Paul de Mans gebaut, dem Erfinder des Dekonstruktivismus in der Literaturwissenschaft. Jetzt spätestens braucht man drei Lesezeichen und zwei Lexika, um in Die Heimkehr nicht verloren zu gehen.
Im Text, im zitierten Romanheft, in Auszügen aus erfundenen Briefen und Seminar-Protokollen diskutieren die Figuren beinahe evangelisch gesittet Fragen der Moral und des Charakters: Sind feige Nazis gut? Sind tapfere Nazis schlechter? Weil aber ein echter Mensch das Problem nicht nur im Kopf, sondern im Leibe haben soll, muss später das Seminar mit Vater und Sohn zum Überlebenstrainig in den Wald.
Als Autobiographie wäre Die Heimkehr genial aber unglaubwürdig, als gemächlich sich selbst dekonstruierender Roman ist das Buch mindestens mühsam. Häppchenweise gelesen aber, auf der Rückseite von Malblöcken etwa, wären es etwa drei unfertige Romane und sechs feine Erzählungen.
WING
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