SF?

Im Retro-Space

William Gibsons Original-Cyber-Punk-Trilogie, jetzt zweitübersetzt bei r&b/2001

Und wieder fängt es mit dem Fernseher nach Sendeschluß an, der wie der Himmel überm Hafen aussieht. So wie schon 1984, im Original. Bzw. 1887, auf deutsch. So kurz oder lange ist es her, daß der Cyberpunk losbrach, die Verbindungen von Chip und Charakter festgelötet wurden und die verspiegelten Sonnebrillen der Nebenhelden uns mikrochirurgisch nahtlos ins Jochbein übergingen.
Neuromancer war der erste Roman einer neuen Zeit - die sich schon im zweiten Band der Trilogie (Biochips) als hoffnungslos veraltet herausstellte - und durch den dritten, Mona Lisa Overdrive, 1988 geschrieben, weht ein schon fast nostalgischer Wind aus Rost und Schimmel: so hip dachten wir uns gestern morgen noch.
Bill Gibson wußte das, und Norman Spinrad wußte im Nachwort zum ersten deutschen Neuromancer (in der jetzt vorliegenden überarbeiteten Übersetzung in einem Band leider, wenn auch originalgetreu, gestrichen), daß die eigentliche neuromantische Invention die Einführung des Rock-Gefühls in die Science Fiction war. So wie Bob Dylan 20 Jahre zuvor den Folk verstromte.
Aber it's all over now, Big Blue. Gibson schreibt fürs Fernsehen, die Spannung zwischen einer komplett auf einer Reiseschreibmaschine erfundenen Datenreiter-Gesellschaft (optisch heute nur noch Vorlage für Nintendo-Architekturen), den guten alten Werten (Liebe, Vatermord, Freundschaft und Straßen-Weisheit) und den noch besseren Plot-Mustern (Rache, Rädchen gegen Moloch, Yakuza-Kriege, Spade und Archer versuchen, auf halbem Wege zum Spätwestern umzukehren) ... diese Spannung sinkt gegen heute.
Insofern paßt es, das aus den schnellen Taschenbüchern der End-Achtziger (1989 lag die Trilogie komplett auf deutsch vor) heute ein dicker Hardcover-Brocken fürs Regal geworden ist: Die Neuromancer-Trilogie. Im gleichen Format wie die kurz davor zweit-erschienene Story-Sammlung Vernetzt - Johnny Mnemonic (deren Original kam parallel zu Neuromancer heraus) und das nach Mona Lisa geschriebene, aber hier als erstes in 2001/r+b-Edel-Ausgabe erschienene Virtuelles Licht. Ihr Geld sind alle Bände mehrfach wert; nur, wer sie heute haben muß, weil er Gibson gestern nicht gelesen hat, der gehört einfach nicht in diese Welt. Und vor keinen Computer.
Oder wir gehören nicht auf diese falsche Seite der Mattscheibe, mit einer Tastatur von Colani, und einem Internet, das bestenfalls Pop ist, Punk niemals war, und Rock nur an den Rändern. Da wo der Himmel aussieht, als käme keine Werbung mehr.
WING
William Gibson: Die Neuromancer-Trilogie Rogner & Bernhard/2001 1996, 993 S., 33.- DM