GIBSON

Remastered Flash

William Gibsons Cyber-Stories, jetzt zweitübersetzt bei r&b/2001

"Ich packte die Knarre in eine Adidas-Tasche und stopfte sie mit vier Paar Tennissocken aus. Eigentlich entsprach das überhaupt nicht meinem Stil, aber genau das war der Sinn der Sache: Wenn sie dich für primitiv halten , komm ihnen mit Technik; wenn sie dich für einen Techniker halten, mach's auf die primitive."
So fängt die erste Geschichte im William Gibsons erstem (und einzigem) Geschichtenband an, heute, nachdem Peter Robert unter dem Lektorat von Sven Böttcher die Übersetzung von Reinhard Heinz (1986 bei Heyne) überarbeitet hat. Damals "legte" er noch die Knarre, machte einen Punkt weniger und schlabberte die Strategie-Spruch-Passage als "ich hatte mir vorgenommen". Leider ist das genau nicht der Stil der ganzen Überarbeitung, aber ein ziemlich exakter Treffer in Gibsons Sinn.
Denn den halten inzwischen sogar simple TV-Junkies ("Wild Palms" zweimal gesehen wie?) für technoid, virtuell, cybermäßig den Gipfel vom Ganzen. Dabei ist er ein tiefer Freund von Eastwood, Hemingway und verspiegelten Sonnenbrillen. Und der beste Witz ist, daß er keine Ahnung von Computern, Netzen, Wetware oder auch nur Satelliten-Empfang hatte, als er Anfang der Achtziger das ästhetische Rüstzeug für den Rest des Jahrtausends erfand. Wortwörtlich erfand, denn Gibson nahm weder den Computerslang seiner Zeit auf (er hatte ihn einfach nie gehört), noch das Pseudo-Scientific der SF (die las er nur mit Gummihandschuhen, um einen Verlag für seine Sachen zu finden).
Nun mögen sich Amerikanisten um die Vor- und Nachteile der beiden konkurrierenden Übersetzungen streiten (in Heyne-Taschenbüchern gab es fast den ganzen Gibson bevor der "Spiegel" über ihn schrieb, ja sogar vor uns - andererseits wird "2001" Gibsons Hauptwerk, die Neuromaner-Trilogie demnächst als Hardcover neuverlegen. Auch schön.) - die neue ist sorgfältiger, sichtlich, aber wirft genausoviele Fragen nach Alternativen auf. Wir jedenfalls werden in Zukunft beide parallel benutzen. Wie einen visi-O-master, um ein räumliches Bild einer Zukunft zu kriegen, die so nicht kommen wird (zum Teil, weil sie schon anders da ist).
Aber Gibsons Keyboard-Cowboys, Internet-Agenten und vor hochoktaniger Bewegungslust zitternde Leibwächterinnen haben ihn neben Jules Verne und Hugo Gernsback in die Hall of Fame der Unumgänglichen geschossen - und er kann besser schreiben als Jules, und besser Pseudo-Technik lieben als Hugo. Die er auch beide selbst heute nur aus Links im Web kennt. Und zu flaggen vergaß - hätte er sonst seine Start-Up-Story von damals zu einem Film verwässert, in dem Dolph Lundgren die Lakonie ersetzen muß - und ein digitaler Flaschengeist den Datenwind der frühen Cyberwüste? Lest ihn, in welcher Ausgabe ihr ihn kriegen könnt.
PS: Bill hat mal eine Diskette mit einer Story in Umlauf gebracht, die sich nach dem ersten Lesen automatisch löschte. Hat die wer? Undeleted? Urgent!
WING
William Gibson: Vernetzt. Johnny Mnemonic und andere Geschichten Rogner & Bernhard/2001 1995, 232 S., 27.- DM